Lautlos by Frank Schätzing

Lautlos by Frank Schätzing

Autor:Frank Schätzing
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
ISBN: 9783442459223
Herausgeber: Goldmann
veröffentlicht: 2006-03-14T23:00:00+00:00


PHASE 3

KOELN-BONN AIRPORT

Eric Lavallier lehnte sich zurück und sah die Frau und den Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs unter halb geschlossenen Lidern an.

Mit jedem Wort entströmte ihren Mündern der Dunst nächtlicher Exzesse. Kirsten Wagner – oder hieß sie Katharina? – erweckte auf ihrem Stuhl den Eindruck eines aus dem Nest gefallenen Vogels. Offenbar litt sie unter Kopfweh. Ihre Augen waren verquollen, ihr Gesichtsausdruck zerquält. Sie schien jeden Satz dreimal im Mund herumzudrehen und dann unter größten Schwierigkeiten auszuspucken. Demgegenüber artikulierte sich der Mann, der ihm als Dr. Liam O’Connor vorgestellt worden war, überraschend klar und deutlich. Er hatte es abgelehnt, Platz zu nehmen, sondern ging beständig im Raum auf und ab. Sein Erscheinungsbild war gepflegt und kultiviert. Lavallier, der selbst kein großes Interesse an modischen Dingen hatte, registrierte sehr wohl den perfekten Sitz des silbergrauen Anzugs, der wahrscheinlich furchtbar teuer gewesen war. Ebenfalls wusste er, dass dieser O’Connor Romane schrieb und sich grenzübergreifender Popularität erfreute. Er fiel demnach unter die Kategorie Künstler und genoss das Privileg, nach Alkohol riechen und sich danebenbenehmen zu dürfen, ohne sofort der sozialen Ächtung anheim zu fallen.

Ob man ihm glauben konnte, war eine andere Geschichte.

Mechanisch, während er lauschte, fügte Lavallier seine Besucher in Kategorien. Der Mann trank regelmäßig, konstatierte er, die Frau war es nicht gewohnt. Man musste kein Fachmann sein, um das zu erkennen. Es reichte, lange genug den Job zu machen.

Er gestattete sich einen Anflug von Verärgerung.

Kaum etwas hatte er mehr befürchtet, als dass heute jemand in sein Büro spazieren und ihm eine solche Geschichte auftischen würde. Nicht, dass er sie jemand anderem erzählt wissen wollte. Ihm war klar, dass niemand damit zu Winrich Granitzka lief, der als leitender Polizeidirektor Kölns in diesen Tagen über zwölftausend Beamte gebot und die Hauptverantwortung für den reibungslosen Ablauf des Doppelgipfels trug. Lavallier hielt die operative Leitung des Geschehens auf dem Airport in Händen. Es war schon gut und richtig, dass sie zu ihm kamen.

Es war nur nicht gut, dass sie überhaupt kamen.

Genauer gesagt war es eine Anmaßung des Schicksals. Der Schutzpatron der Polizei hatte ihn nicht mehr lieb. Er fragte sich, ob ihn eine göttliche Dienststelle strafen wollte für den kurzen Anflug von Selbstsicherheit, der ihn beim Frühstück überkommen hatte. Na und? War es denn so unanständig, sich zu freuen, dass die Landungen der EU-Delegierten Anfang Juni ohne Zwischenfälle über die Bühne gegangen waren? So viele! In so kurzer Zeit. Sie waren in ihren zweistrahligen Jets hereingesegelt wie die Brieftauben, Viktor Klima, Antonio Guterres, Tony Blair, elf Maschinen am Stück. Elf adrenalingesättigte Momente. Elfmal hoffen, dass nicht irgendein Verrückter doch noch etwas tat, womit niemand gerechnet hatte, obwohl das BKA schlichtweg mit allem rechnete, sogar mit dem Einsatz von Giftgasen und Marschflugkörpern. Zwar waren die Teilnehmer des EU-Gipfels nur unter Sicherheitsstufe zwei gefallen – Anschlag nicht auszuschließen – und einige nicht mal das. Aber die

Klassifizierung erwies sich als Makulatur. Welche Sicherheitsstufe hatte für Olof Palme gegolten? Für Anwar el Sadat? Was hätte vermuten lassen, dass jemand mit dem Messer auf Oskar Lafontaine losgehen oder



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.